> Spielplan  > Pressestimmen  

Almen-Rausch

Prof. Ernst Schumacher in Freitag vom 2.11.2001

Hinweis: Prof. Ernst Schumacher ist ein deutscher Theaterwissenschaftler und Kritiker. Im Herbst 2001 schrieb er für den "Freitag" (eine Berliner Zeitung) einen Aufsatz zum Thema: WAS DAS "GEHOBENE" THEATER VOM "VOLKSSCHAUSPIEL" LERNEN KÖNNTE Gedanken zu Aufführungen im alpenländischen Raum

Nachdem er zunächst ein paar andere Bühnen besucht hatte nahm er das Junge Tegernsser Volkstheater mit dem Stück "Almen-Rausch" unter die Lupe. Den gesamten Aufsatz können Sie hier lesen.

Hier nun auszugsweise der Text:


... Gegenüber dieser in einer gestrigen, um nicht zu sagen vorgestrigen Gesellschaftlichkeit stehen gebliebenen Repertoiregestaltung und Darstellungsweise nimmt sich das Programm des Jungen Tegernseer Volkstheaters geradezu umstürzlerisch aus. 1898 von Hans Lindner gegründet, gastieren die Tegernseer ebenso wie die Schlierseer und Berchtesgadener im In- und Ausland. Nach dem Tod von Hans Lindner hatte sein Neffe Lothar Kern das Familienunternehmen weitergeführt. Seine Söhne Florian und Ulrich verfassten nun in den vergangenen Jahren neue Volksstücke, in denen sich die realen gesellschaftlichen Veränderungen meist auf parodistische, ansatzweise kritische Weise widerspiegeln und in deren Darstellung auch der tradierte Realismus überschritten wird.

Als Beispiel sei das Stück Almenrausch angeführt: Der Besitzer der Rumpl-Alm tritt zwar als "Bilderbuchbayer" mit Lederhose, Wadlstrümpf´ und Miesbacher Filzhut auf, verkauft aber gleichzeitig im Internet "die Erlebniswelt Oberbayern" für esoterische Selbsterfahrung und "River-Rafting"; die Sennin ist eine dreifache Mutter, die als emanzipierte Medizinstudentin in den Ferien jobbt. Und dementsprechend sind die Kühe, um die sich Maria zu kümmern hat, genmanipulierte "milcharme Almabtriebskühe" mit kräftigen Vorderfüßen, die, per Grenzschutzhubschrauber nachts auf die Alm gebracht, gleich mehrfach den Almabtrieb für Pauschaltouristen überstehen müssen. Die angereisten Erlösungs- und Abenteuersüchtigen finden in einem von Enzianschnaps verursachten "Almen-Rausch" zur Selbstbesinnung. Natürlich verfügen alle über Handys, die zu wichtigen Akteuren werden. Was im alten Volkstheater in Form von Couplets beziehungsweise G´stanzl an moralischer Reflexion geboten wurde, erhält hier durch eine kleine Band mit Keyboard, E-Gitarre, Bass und Schlagzeug einen ganz und gar zeitgenössischen Touch.

Das Stück nähert sich damit auf einmal der Brechtschen Ableitung an, die dieser 1948 für die Puntila-Inszenierung im Zürcher Schauspielhaus fand: eine Vereinigung von naivem, "kruden" Theater mit der lockeren Revue - heute ist es die "poppige" musikalische Begleitung. Es ist unüberseh-, es ist unüberhörbar, dass ein wirklicher Erneuerungsversuch von Volksstück und Volkstheater am ehesten auf diesem Weg möglich scheint....