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Die Wilderer vom Tegernsee

Münchner Merkur vom 05./06. November 2011


Rebellische "Wilderer" lassen es krachen



Pullach - Ums Volkstheater, darum was es will, und wie man es spielen kann, geht es vorrangig. Um Hinterlader geht es aber auch - und um wild auflachenden Fanatismus, der den vermeintlichen oder wirklichen Tod heraufbeschwören wird.

Undurchdringliche Nebelschwaden liegen über der düsteren Waldlandschaft, wo eine Horde wilder Burschen und kämpferischer Frauen mit Treffsicherheit und romantischer Ironie einen furiosen Regie-Umsturzversuch wagt. Die wilden Theatermacher von der "Volksbühne mal anders" brechen mit Konventionen oder erneuern sie mit feiner Inszenierungspolitur bei ihrem Gastspiel im Pullacher Brückenwirt.

Nur keine Panik, nicht eine komödiantische Piratenpartei entert die Traditionen dieser ganz speziellen Kunstform bayerischer Kultur, sondern das Stück greift auf Fundamente zurück, die durch allzu viel biedere Schwänke und Inszenierungen von der Stange verlorengegangen zu sein scheinen. Ausnahmebühnen gibt es noch.

Aber die Burschen von "mal anders", die zum Teil dem Amsi und Lothar Kern-Clan vom Tegernseer und Chiemgauer Volkstheater entlaufen sind, haben sich nicht zufällig auf ein Stück aus eigener Werkstatt, auf "Die Wilderer vom Tegernsee" eingeschworen. Denn mit mit sanft rebellischen Anarcho-Touch des Wilderers, der sein oft überlebensnotwendiges Handwerk erst ausübte, seit die Natur mit Wäldern, Wiesen und Gewässern zum Eigentum der Reichen wurde, kommt das Ensemble gut zurecht. Ein "Spektakel" nennt der Autor, Schauspieler, Regisseur mit Iberl-Volksbühnen-Vergangenheit und Programmierer Ulrich Kern sein Stück. Tatsächlich lässt er es krachen, die Böllerschüsse bersten lauter als gewöhnlich. Bedeutungsschwer schleudert die Hochdramatik glühende Blitze über ein gerechtes Freundestrio und dessen faschistoiden Verfolger. Es ist der vom Hass und Stolz zerfressene königstreue Gendarmeriehauptmann Sebastian - genannt auch der "Scharfe". Florian Kern spielt ihn als übergroße Figur, als gnadenlosen Fanatiker des Rechts. Dem Publikum läuft es kalt den Rücken herunter, wenn er unter verzweifelt teuflischen Gelächter dem Wahnsinn verfällt. Das ist kernig fetziges Schauspieltheater mit herber Liebesbereitschaft und Konflikten von anarchischer Wucht. Christine Sperber beherrscht ein Spektrum an Gefühlen, herbe Hingabe bis wilde Abwehr. Mächtig ins Zeug legen sich Martin Hofstetter, Johannes Schindlbeck und Roland Schreglmann. Mit Charme und Witz inszenieren sie sich als große Lausbuben, die endlich ihr großes Abenteuer erleben. Gesungen wird auch, und zwar sehr gut. Die Lieder verschmähen weder Blues noch Swing oder die schwärmerische Kantilene, die so sehnsüchtig um Liebe fleht. Besonders gelungen ist der Sprechgesang, der auf die Couplets eine Johann Nestroy zurückgreift.

All die verschiedenen Bühnenmittel in Ausstattung und Darstellung vereinigen sich zu einem Volkstheater-Monolithen ohne Brüche und Unstimmigkeiten. Zurück zu den Wurzeln des Dialekttheaters ist hier nicht das Motto für konservierte Bühnenkunst, sondern das Alte ist die Brücke, die hinführt in neue Ausdrucksformen. Gleich über eine Reform eines Heimatlichen Genres zu jubeln ist sicher verfrüht. Aber die Erwartungen, die die Volksbühne mit ihrem "mal anders" geschürt hat, sind enorm. Mal schauen, was die Wilderer weiter anstellen.